Sie wachte auf weil sie dringend auf die Toilette musste. Innerlich seufzte sie. Sie hatte keine Lust aufzustehen. Der Schlafraum war ungeheizt und der Boden fühlte sich auf ihren nackten Füßen an, wie Eiszapfen.
Sie wachte wieder auf. „Verdammt“…
Torkelnd wankte sie zur Toilette. Schnell wieder ins Bett…
Als sie gerade wieder ins warme Nichts eintauchte wurde sie erneut wach.
„Ding-Dong“. Sie runzelte die Stirn. Machte die Augen wieder zu.
Ding-Dong.
Es klingelte an der Tür. Jetzt war sie hellwach. Sie ging auf den Balkon.
„Wer ist da?“ Ein junger Mann stand unten.
„Mel…“ lallte er. „Wer?“
„Na super“, dachte sie. Ohne nachzudenken ging sie hinunter. Sie öffnete die Haustür.
„Kann ich bei euch schlafen?“
Sie zögerte. „Von woher kommst du?“
Er redete wirr. ….der Freund von….
„Ich bringe dich hin“ unterbrach sie ihn. „Warte, ich hole kurz meine Jacke.“
Die Situation war grotesk. Da läutet ein wildfremder Mann an deiner Tür, mitten in der Nacht. Stockbesoffen oder wer weiß was sonst noch und du fährst mit ihm spazieren. Das war ihr allerdings gerade nicht bewusst.
Der Mann war ein Rüpel. Er furzte und wenn er den Mund aufmachte kam die Scheiße von oben heraus. Sie war verärgert.
„Was bildet der sich überhaupt ein?“
Sie beschloss ihn zu ignorieren. Zum Glück war es nicht weit. Sie schwieg.
„Bleib da, verdammt nochmal.“ schrie er.
„Bleib da.“ Bleib hier.“
Wieder und wieder.
„Du kannst nicht gehen. Bleib da.“
Der Mann hatte seine Masken abgelegt. Sie sah ihn an. Sah seine Angst. Es war auch ihre. Macht durchflutete sie. „Mein Schweigen macht ihm Angst“ dachte sie.
„Er dreht völlig durch“.
Sie stoppte den Wagen. „Steig aus“.
Er sah sie an. „Du bist hier“.
Sie wollte ihn verprügeln. Schweigend fuhr sie weiter. „Ich muss mich auf die Straße konzentrieren“, sagte sie. Zum Glück stieg er am Zielort aus. Aufgewühlt fuhr sie nach Hause. Erst jetzt wurde ihr die Gefahr bewusst, in der sie geschwebt hatte.
Seine Worte verfolgten sie.
„Bleib hier“.
„Wo soll ich denn hingehen“, dachte sie. „Arschloch“.
Sie weiss wie es ist, angeschwiegen zu werden.
„Bleib hier“.
Sie weiss wie es ist, nicht hier zu sein.
„Komm zurück“.
„Ich habe Angst, ganz alleine“.
Am nächsten Tag war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie nicht halluziniert hatte. Gab es diesen Mann wirklich? Oder hatte sie ihre Angst besucht. Der Autoschlüssel lag da, wo sie ihn hingelegt hatte.
Text: Petra Höberl
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