Eine liebliche Melodie erklingt, hell wie die Glocken der Kapelle die vor einiger Zeit am angrenzenden Waldstück erbaut wurde. Zwei Vögelchen fliegen auf das Turmfenster zu. Fröhlich zwitschern sie zum Lied, dass die beiden Harfenspieler gerade zum Besten geben.
Sie haben es erst vor kurzem komponiert um Lady Emporio damit zu imponieren. Insgeheim hoffen die beiden jungen Nachwuchskünstler natürlich auf den Segen ihrer Prinzessin, das würde deren Karriere einen unvergleichlichen Schub bescheren.
Besagte Lady sitzt in ihrem Turmzimmer und bürstet sich ihre langen goldenen Locken. Strähne für Strähne hundertmal, das ist ihr tägliches Ritual das dem Tag die halbe Zeit nimmt, wenn es beendet ist. Sie gähnt.
Woraufhin der eine Harfenspieler kurz aus dem Takt kommt und eine Note schief spielt. Irritiert runzelt Lady Emporio die Stirn. Sie lässt ihre Hand sinken. Ein Wink mit der anderen Hand bringt die beiden Musiker zum Schweigen. „Euer Lied gefällt mir nicht“, sagt sie nur.
Nachdem die zwei Komponisten betroffen gegangen waren, seufzt sie tief.
„Mist, jetzt habe ich mich verzählt.“
An diesem Tag dämmerte es bereits, als sie ihr Ritual endlich beendet hatte.

„Mann ey! Was ist denn das für eine beknackte Scheiße?“ Amandhino kam in Fahrt.
„Sie bürstet ihre langen goldenen Locken, 100 Mal pro Strähne und hört dabei den Harfenspielern zu. Kitschiger geht’s ja wohl kaum!“
Empirista zuckt mit den Schultern.
„Das ist Kunst, Amandhino. Mit dieser Szene wird die Langeweile auf die höchste Stufe erhoben. Die werte Lady ist sogar irritiert, wenn etwas die Eintönigkeit unterbricht. Sie hat die Langeweile ihres Tuns quasi perfektioniert. Das ist das einzige, dass sie wirklich tun kann, in ihrem goldenen Käfig. Kunst, verstehst du?“

Amandhino stürmt aus dem Raum. „Kunst, phaaa“ hört ihn Empirista noch rufen.

Immer noch etwas wütend stößt Amandinho die Tür zu seiner Lieblingskneipe auf. Dichter Rauch dringt ihm entgegen und im Hintergrund spielt harte, trotzige Musik. Fast sofort beruhigt er sich wieder. Das hier ist seine Welt. Keine lieblichen Klänge und Rituale die zu einer Kunstform hochstilisiert werden um Missstände aufzuzeigen. Die hübsche Kellnerin bringt ihm ungefragt sein Bier. Interessiert blickt er sie an. Aufreizend schiebt sie ihre tolle Figur noch etwas in den Vordergrund. Amandinho lächelt.
„Wer braucht schon Rituale?“ denkt er sich.
Nach einigen Bieren, ewig gleichen Gesprächen, ein paar Zügen von Joints und aufreizenden Gesten diverser Gäste und Bedienung, wankt Amandinho, wie immer, nach Hause.
Verwundert fragt er sich vor dem Einschlafen, warum zum Teufel es Empirista gelingt, ihn jedesmal so aus der Fassung zu bringen.

Empirista ist etwas traurig.
Sie weiß natürlich warum, aber das bringt ihr nicht besonders viel. Nur weil man weiß, warum etwas ist wie es ist, ändert sich nichts. Auch das weiß sie. Trotzdem hat sie Angst. Angst vor dem, was nun unweigerlich kommen wird. Insgeheim hofft sie, dass es nicht so ist, dass sie sich getäuscht hat. Aber sie weiß auch, dass unter ihrem insgeheim, die Gewissheit liegt, dass das leider nicht so ist.

Empirista ist niemals allein. In ihr existiert ein ganzes Universum. Ein ziemlich lautes Universum. „Das blöde ist, dieses Universum kommt an Stellen hin, die sehe ich von hier oben gar nicht.“ Auch ist sich ihr Inneres Universum nicht zu schade, Empirista alles brühwarm zu berichten, was sich in ihren inneren Ecken und Kanten so alles tut. Darum weiß sie, was sie weiß.

Und weil sie weiß, was sie weiß, fühlt sie sich trotzdem allein. Oder deswegen. Weil andere scheinbar nicht dasselbe wissen. Auch das weiß sie.

„Prinzessin Emporio und ihre Erbse“, denkt sie ironisch.
Ihr Universum findet Empirista nicht besonders anstrengend oder kräftezehrend. Das ist es immer nur, wenn sie es verdrängt. Mittlerweile hat sie das herausgefunden. Wenn sie mit ihrem Universum mitgeht, dann ist sie ganz natürlich in ihrer Mitte. Auch wenn das auf andere nicht so wirkt. Das ist Empirista bewusst. Empirista blickt sich ein letztes Mal um. Dann nimmt sie ihren gepackten Koffer und geht zur Tür.

Das Taxi wartet schon.

 

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Text: Petra Höberl

Bild: pixabay

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