Das Häuschen wird bald fertig sein…

 

Das Steißbein schmerzt. Schon seit Wochen. Mal mehr mal weniger. Ich habe Angst.

Was ist das jetzt wieder für eine neue Plage?

In meiner Fantasie wächst mir ein Tumor aus dem Allerwertesten. Oder zumindest irgendeine furchtbar grausliche Zyste. Gefüllt mit Eiter.

Aber höchstwahrscheinlich ist es „nur“ eine Entzündung. Als hätte ich davon noch nicht zu wenig.

 

Tauchet ein, Tauchet ein

 

Der Maler wird bald fertig sein…

 

Ich bin bei meiner Familie zu Besuch. Seit ich wieder mehr in Kontakt mit ihr bin wird geredet und geredet. Es wird geweint und verzeiht. Ich höre andere Sichtweisen und öffne mich völlig diesem Prozess. Es tut weh, aber es ist auch ein heimkommen. Und es wird gelacht. Wir rücken zusammen. Besonders mit meiner Mutter. Wir reden über meinen Vater, der vor 2 Jahren verstorben ist. Wie sie sich manchmal gefühlt hat. Wir reden über mich. Wie ich mich fühle. Es ist ungewohnt aber schön.

 

Zisch zisch zisch, Zisch zisch Tisch

 

Der Tischler hobelt glatt den Tisch…

 

Die Steißbeinschmerzen sind fast unerträglich geworden. Über Nacht. Ich schlafe bei meiner Mutter. In meinem alten Zimmer.

Plötzlich fällt mir auf, dass die Schmerzen in meiner Heimat so schlimm werden. Bin ich wieder weg, verschwinden sie.

Fuchs wie ich bin, kombiniere ich sofort!

Steißbein steht für altes, das du noch mit dir herum trägst. Wir arbeiten altes gerade auf. Es ist die Erstverschlimmerung. Ich bin in Heilung.

Und erleichtert!

 

Poch poch poch, Poch poch poch

 

Der Schuster schustert zu das Loch…

 

Wir besuchen noch meinen Bruder. Auch da reden wir. Über alte Dinge. Er ist 8 Jahre jünger als ich und hat völlig andere Erinnerungen. Und wieder höre ich ganz andere Ansichten. Es ist faszinierend. Und ich kann heute ehrlich sagen, dass ich in Frieden mit Papa bin. Und spreche das auch aus.

Das Steißbein pocht noch ein wenig, aber es ist zum aushalten. Ich fühle mich immer wohler im Kreis meiner Familie. Angenommen. Endlich!

Weil ich mich selbst endlich annehme? Oder weil wir endlich reden. Egal.

 

Stich stich stich, stich stich stich

 

Der Schneider näht ein Kleid für mich…

 

Mama bringt mich nach Hause. Nach Hause? Ich bin hier nicht zuhause. Es ist nur ein vorübergehendes Domizil. Zuhause ist, wo mein Herz ist. Dort wo ich verstanden werde. Dort wo alles begann. Wo ich mich entwickeln durfte und gewachsen bin.

Ich verstehe plötzlich sämtliche Zusammenhänge. Die ganze große Familie schwebt vor mir. Sie ist unglaublich stark! Wir halten zusammen und ich bin ein Teil davon.

Ich muss weinen. Vor Freude und Liebe.

 

Trapp trapp drein, trapp trapp drein

 

Jetzt gehen wir von der Arbeit heim.

 

Mein Sohn hat mich angerufen. Er möchte mich morgen besuchen….

Achso..das Steißbein hat aufgehört zu Schmerzen.

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Text: Petra Höberl

Bild: pixabay

 

2 Gedanken zu “Stein auf Stein, Stein auf Stein

  1. Das hast du so toll geschrieben/beschrieben/gesehen/verstanden. Ich kann alles nachempfinden. Die Erinnerungen sitzen tatsächlich nicht nur im Gehirn, sondern auch im Körper. Rücken. Nacken. Unser Rücken scheint die Landkarte unserer Geschichte sein. Liebe Grüße und ein schönes Wochenende, Monika

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