Ich habe ein Mädchen getroffen. Eigentlich ist es eher eine reife, ältere Dame, doch wenn man sie ansieht und vor allem mit ihr spricht, hat man das Gefühl ein Mädchen vor sich zu haben.
Sie ist so zeitlos. Ihre Augen sind zwei unergründliche tiefe Seen. Manchmal flackern sie ein bisschen dann hast du das Gefühl, als würdest du zu viel sprechen, obwohl sie das mit keinem Wort andeutet. Und manchmal tauchst du tief in sie ein. Dann sind Worte auch nicht mehr nötig.
Ihr Körperbau ist sehr zart. So zart, dass du sie mit einer Hand zerbrechen könntest. Manchmal meinst du, ein kleiner Windstoß könnte sie schon umwehen. Doch dann macht sie den Mund auf, und es weht dich selbst um, angesichts ihrer Worte, die ein gestandenes Mannsbild in Verlegenheit bringt.
Sie ist ziemlich klein. Du überragst sie um zwei Köpfe, was dich immer wieder dazu animiert, sie ein bisschen von oben herab zu behandeln, oder sie zu belächeln, weil es so süß aussieht. Doch dann führt ihr ein tiefgehendes Gespräch. Das heißt, du führst es, denn sie hört meistens zu. Und wenn du dir deinen Kummer von der Seele gesprochen hast dann sagt sie einen Satz. Höchstens zwei. Und du wirst klein und sie überragt dich um zwei Meter und lächelt.
Sie hat ein inneres Barometer. Danach richtet sie sich oft. Tut sie es nicht, wird sie krank. In der Vergangenheit war sie sehr oft krank, weil sie niemanden enttäuschen wollte. Doch jetzt darf sie sich selbst nicht mehr enttäuschen, hat sie mir erzählt.
Ich frage mich oft, wie es ihr wohl gerade geht. Sie hat großen Eindruck hinterlassen. Manchmal denke ich, sie ist von einem anderen Stern und irgendwie nur zufällig hier gestrandet. Ob sie wohl wieder heim findet?
Text: Petra Höberl
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