Ich ging zu der alten Frau. Sie saß in ihrer einfachen kleinen Hütte und strickte gerade aus alten Socken und ausrangierten Pullovern, die sie sorgfältig aufgetrennt hatte, eine Decke für das Baby. Es sollte im Februar zur Welt kommen.
Ich setzte mich zu ihren Füßen. Sie war nicht überrascht, dass ich da bin. Das war sie nie.
Der Duft von Kräutern und Bienenwachs hüllte mich ein. Er erzählte mir vom Sommer, als die Bienen emsig von Blüte zu Blüte flogen und die Kinder lachend den Schmetterlingen nachjagten und Staudämme im Bach bauten.
Wir sprachen kein Wort wir beide. Das war auch nicht nötig. Die alte Frau begann zu summen. Ein uraltes zeitloses Lied. Ich hatte es schon oft gehört. Alle Frauen kennen dieses Lied. Summen es den Kindern vor.
Entspannt schloss ich meine Augen. Die Melodie verbreitete sich im Raum und vermischte sich mit dem Duft des Sommers. Glückseliges Kinderlachen reitete auf einer Welle und trug mich mit.
Frieden. Da war soviel Frieden und unendliche Geborgenheit. Ich sah mich in einer Gemeinschaft, die mich als wertvolles Mitglied schätzte. Eine Kommune? Hippies? Ach das spielte keine Rolle. Ich genoss dieses Gefühl.
Ein Strand. Kleine Wellen schwappten hin und her. Rauch. Es wurde etwas herumgereicht. Tanzen. Gelächter. Ausgelassenheit.
Mein Gefühl veränderte sich. Wurde irgendwie bedrohlich. Atmen. Ein Kloß stieg immer höher. Atmen. Atmen. Atmen.
Ich beruhigte mich etwas.
Ein Gedanke formte sich in meinem Kopf. Ich will ihn nicht teilen. Er soll sie nicht ansehen.
Die Melodie der alten Frau hatte sich fast unmerklich verändert. Wurde monoton. Genau wie ihr stricken.
Ich kämpfte um die Kontrolle. Aber ich war so müde. Ich wollte nicht mehr kontrollieren. Irgendwann ist es doch mal genug. Ich ergab mich. Der Melodie. Dem Duft. Dem Kloß. Dem Bild. Dem Gedanken.
Und es schwebte in der Luft. Ich schaute es an. Lange. Ich akzeptierte es völlig.
Tanzen, Gelächter, Ausgelassenheit. Ich muss ihn teilen. Er sieht sie an. Es macht mir keinen Spaß, aber ich akzeptiere es.
Ein neuer Frieden stellte sich ein. Ich erkannte, dass es meine Fähigkeiten nicht schmälert. Ich bin ein wertvolles Mitglied.
Dieser neue Gedanke blubberte durch mein gesamtes Nervensystem. Er kribbelte im Kopf und knisterte im Bauch.
Die alte Frau summte nun etwas anderes. Es hörte sich an wie tausend Flügelschläge, die mich in die Luft trugen. Es war so wundervoll, ich könnte es nicht richtig beschreiben.
Wieder ein anderer Gedanke formte sich nun.
Ihr habt die Reife erreicht, zu spielen ohne einander zu verletzen.
Ich öffnete die Augen.
Eine Weile saß ich noch bei der alten Frau. Die Decke war fast fertig. Es würde eine wunderschöne Decke werden. Dem neuen Erdenbürger würdig. Schließlich stand ich auf und legte das Essenspaket dass ich ihr vorbeigebracht hatte, in ihre winzige Küche.
Text: Petra Höberl
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