Es war einmal

und ist noch eine Eule. Die Eule wähnte sich sehr klug, weil sie ja eine Eule war. Außerdem hatte sie eine Brille auf der Nase.

Von klein auf liebte sie das gedruckte Wort und saugte jede Zeitung, jedes Buch wie ein Schwamm auf. Sie liebte auch das Gesagte Wort und so hing sie an den Lippen vieler Wesen um sie herum.

Als sie älter wurde, dachte sie bei sich, dass ihre Klugheit nun in die Welt müsste. Also packte sie ihr Hab und Gut und zog in einen fremden Wald.
Dort herrschten andere Gesetze, wie sie, klug wie sie nun mal war, schnell feststellte.
Und wieder hing sie an den Lippen der Bewohner um sie herum und las deren Bücher und Zeitungen.

Es war ganz etwas anderes, als das was sie vorher gelesen hatte.

Die Jahre vergingen. Die Eule wurde klüger und klüger, aber niemand wollte mehr mit ihr reden. Sie war einfach allen viel zu klug.

Irgendwann stellte die Eule fest, dass ihr dieser Wald nun nichts mehr bieten könnte, und so packte sie erneut ihr Hab und Gut und wanderte auf gut Glück in einen anderen Wald.

Dieser Wald war seltsam. Er hatte Bewohner, das konnte sie sehen, aber sie waren sehr scheu. Sobald sie die Eule erblickten, flüchteten sie.

Des Eule`s Klugheit war mächtig gefordert.

Tagelang überlegte sie, was sie hier wohl lernen könnte doch es fiel ihr nicht ein. Also beschloss sie, das Verhalten der Waldbewohner zu kopieren. Sie hoffte, dadurch hinter deren Geheimnis zu kommen.

Klug wie die Eule war, kopierte sie nicht nur das Verhalten der anderen. Nein, sie perfektionierte es sogar. Bald war sie das scheueste und schreckhafteste Wesen im ganzen Wald. Ihr Ruf war legendär, doch das kriegte sie in ihrer Abgeschiedenheit nicht mit.

Eines Tages

flog sie an den Rand des Baches hin um ihren Durst zu stillen. Nach einigen bedächtigen schlucken hörte sie plötzlich ein Knistern. Erschreckt wollte sie schon los flattern. Da ertönte eine mächtige Stimme. „Halt!“

So eine vibrierende Stimme hatte sie noch nie vernommen deshalb drehte sie sich um. Und erblickte zwei schöne goldgelbe Augen. Erst danach erkannte sie, wem diese Augen gehörten. Einem großen Wolf, und er fixierte sie. Ihre Klugheit ließ sie im Stich und so fiel sie einfach in Ohnmacht.

Als sie wieder wach wurde, wedelte der Wolf mit ihrer Brille vor ihrer Nase herum.
„Sag mal, kannst du mit diesem Teil überhaupt etwas sehen?“

„Ich brauche diese Brille! Sie ist Teil meiner Klugheit!“ – „Aha.“
Der Wolf redete nicht besonders viel, doch er schien Interesse an der Eule zu haben.

In den nächsten Wochen zeigte er ihr den Wald, während sie über alles was er ihr zeigte Geschichten erzählte.

Eine ungewöhnliche Freundschaft entstand. Die Eule hatte jemanden gefunden, dem sie ihre Geschichten erzählen konnte und der Wolf zeigte ihr gerne seine Plätze, die er auf seinen Streifzügen entdeckte.

Und so wurde die Eule zur Legendenmacherin.

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Text: Petra Höberl

Bild: pixabay